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Jennifer Eschenbach

Als Kind habe ich die Sommerhalbjahre überwiegend auf der Ostseeinsel Fehmarn verbracht und mit elf Jahren bei den Charchullas das Windsurfen gelernt.

Da ich aufgrund dieser recht frühen Infizierung mit dem Windsurfvirus nicht ohne Wind, Meer, Wellen, den Horizont und mein Lieblingsspielzeug bleiben kann und der deutsche Winter Windsurferherzen in tiefe Depressionen stürzen kann, hat mich nach meinem Abi 2012 nicht mehr viel dort gehalten.

Kurzerhand habe ich mich in Reisevorbereitungen gestürzt. Die erste Frage, wohin es denn am besten gehen sollte, war nach entsprechender Herangehensweise („Wo kann man im Winter am besten Windsurfen?“) schnell geklärt. Damit begann also ein neuer Lebensabschnitt mit dem Titel „Maui“.

Das Visum war wohl die größte Hürde: Nach langem Suchen im Internet hatte ich schließlich alle Informationen über den Ablauf der Visa-Beantragung zusammen.


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Ich wusste schließlich auch, welches Visum für mich in Frage kam, habe das geforderte Geld überwiesen (ja, das Geld muss da sein, bevor man überhaupt ein Visum beantragen darf; wenn dem Antrag dann nicht stattgegeben wird – dann ist das Geld eben weg!), einen Vorstellungstermin in Frankfurt beantragt, alle geforderten Unterlagen zusammen gesucht (es muss schließlich sicher gestellt werden, dass ich, nachdem ich mein ganzes Geld ausgegeben und damit die amerikanische Wirtschaft angekurbelt habe, auch wieder brav nach Deutschland zurück kehre), meine Fahrt nach Frankfurt organisiert und dort dann sogar gesagt bekommen, mein Visum würde mir in den nächsten Tagen per Post zugeschickt werden.

Diesem Papierkrieg, der heutzutage in erster Linie in hockender Haltung vor dem Computer ausgetragen wird, muss mit guten Windsurfsessions entgegen gewirkt werden, um einen ansonsten wohl unvermeidbaren Nervenzusammenbruch zu verhindern.


Jennifer Eschenbach

Und so saß ich nur wenige Tage nach einer meiner besten Windsurfsessions auf Fehmarn bei allerdings schon verdammt kaltem Wetter (die Bewegungsmöglichkeiten waren wegen zwei übereinander gezogenen Neos doch recht eingeschränkt) im Flieger nach Hawaii – und vor mir lag ein halbes Jahr Hochsommer, Windsurfen bis zum Umfallen und… nun ja, zwischendurch mal ein bisschen Arbeiten.

Als Au Pair würde ich mich um die beiden Kinder der bekannten französischen Windsurfer Carine Camboulives und Manu Bouvet kümmern. Neben der Arbeit und dem von nun an fast täglichem Windsurfen (vielleicht sollte ich eher „wöchentlichem Windsurfen“ sagen, denn wenn eine Woche lang Wind war, war ich selbstverständlich jeden Tag auf dem Wasser und in der darauf folgenden Flautenwoche hatte ich einfach zu viel Zeit), habe ich angefangen Jason Diffin, dem Segelmacher von Goya Sails etwas über die Schulter zu schauen, um meinem Traum, später einmal selbst Windsurfsegel zu entwickeln, schon mal einen Schritt näher zu kommen.

Wie überall und für alle Windsurfer waren die Flauten schwer zu ertragen, und ich musste eine Lösung für diese Zeiten finden. Also stürzte ich mich schon bald bei allen Bedingungen in die Wellen in Hookipa oder anderen Bays, ließ das Segel bei Windmangel also am Strand und versuchte mich im Wellenreiten.

Und bei allen Bedingungen bedeutete auch wirklich bei allen. Diese Einstellung sollte mir noch einige Wasserverbots-Tage bescheren. Während vorher also in erster Linie die Schaumkronen mein Herz haben höher schlagen lassen, habe ich angefangen ähnlich begeistert auf Wellen zu reagieren, die wie am Lineal gezogen in die Bucht rollen.

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Wenn zu große Wellen dafür sorgen, dass Hookipa unsurfbar wird, sollte jemand, der erst ein paar Wochen zuvor mit dem Surfen angefangen hat, eigentlich das Brett zu Hause lassen und sich eine andere Beschäftigung suchen. Leider hat das bei mir nicht geklappt. Ich bin bloß ein paar Buchten weiter gefahren, in der die Wellen auf einem Outer Reef brechen und anschließend noch einmal weiter drinnen, wodurch sie dort trotzdem surfbar sind.

Auf meinem großen Plastik-Anfängerboard bin ich fröhlich vor mich hingepaddelt, habe ein paar Wellen nicht bekommen, war dadurch recht nah an den Felsen, habe mich noch umgedreht und mir beim Anblick der nächsten Welle bloß gedacht: „Ach du scheiße, die ist zu groß!“ und sie direkt auf meinen Kopf bekommen. Ich wurde also gepackt, habe mich irgendwo in der Luft, zwischen Wellenkamm und Wellental wieder gefunden, bin geflogen (ein unbeschreibliches Gefühl, ein Moment in dem erst einmal gar nichts zu passieren scheint), wurde gewaschen, und während ich noch am Überlegen war, wo denn oben und unten sein müsste, spürte ich schon ein Riff an den Füßen.

Von einem Schmerz verfolgt, habe die Oberfläche und die Luft aber doch wiedergefunden, schließlich auch das Board, und bin dann gepaddelt, was das Zeug hielt, um aus der Brandungszone rauszukommen, den etwas doller schmerzenden Fuß schön in die Luft haltend.



Jennifer Eschenbach

Ein Blick zurück hat mir gezeigt, dass die hinterhältig grinsenden Felsen keinen Katzensprung mehr entfernt waren und ein Blick nach vorne, dass dort jede Menge große, mich auslachende Wellen reinrollten – alle bloß mit einem Ziel: Schmeißen wir uns doch auf Jennys Kopf, das wird ein Heidenspaß!

Das besonders warme Wasser um meinen schmerzenden Fuß herum konnte nichts Gutes bedeuten. Etwas aus der Brandungszone raus, und einige Verrenkungen später, war mir dann klar, dass ich wohl besser zurückpaddeln sollte, da ich keine guten Sachen über die Kombination aus Pazifik, Maui, Blut und Haien gehört hatte. An Land sah mein Fuß definitiv nicht gesund aus.

Bei jedem humpelnden Hüpfer baumelnten Hautfetzen hin und her und ich war einfach super dankbar, keine graue Finne neben mir im Wasser gesehen zu haben. Aber bei 90% der Hai-Attacken sieht das Opfer den Hai nicht... Nur gut, dass ich mir im Wasser keine zu großen Gedanken darüber gemacht habe. Nach etwas Erster-Hilfe-Versorgung durch Anwohner, Strandgucker und Surfer, einem Arztbesuch, bei dem die Ärztin eher planlos wirkte, weswegen ich mich dann entschieden habe, unverrichteter Dinge zu gehen - oder eben zu humpeln – habe ich stattdessen Carines Medizinschrank geplündert und es mir dann in der Hängematte, von Wind und Wellen träumend, gemütlich gemacht.

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Die folgenden Tage waren hart, aber der Fall, dass mich jemand in Deutschland am Flughafen abholen müsste, eingepackt in einen weißen Anzug und mit einem netten Schild um den Hals: "Wegen Windsurfverbot aufgrund der zu großen Haianlockung und damit einhergehender Gefährdung der anderen Windsurfer, Surfer und Badegäste leider durchgedreht und nicht mehr zurechnungsfähig“ ist zum Glück nicht eingetreten.

Aber es gibt Pflaster, Tape und Reef-Schuhe, sodass mich nach wenigen Tagen nichts mehr an Land gehalten hat. Nachdem ich meine ersten Prüfungen beim Windsurfen im unvermeidbaren Schildkröten-Slalom ohne größere Probleme gemeistert habe, bin ich dann doch einmal durchgefallen und habe mit Vollspeed einen der schwimmenden Steine gerammt.

Falls also eine halbierte Schildkröte an Mauis North Shore gefunden werden sollte… Ansonsten können Schildkröten aber auch recht sympathisch sein – zum Beispiel wenn sie sich abends Händchen haltend in Hookipa am Strand entspannen.

Wo wir nun schon einmal bei den Tieren im Wasser sind: Viele werden sich wohl Sorgen wegen der Haie machen, die in allen tropischeren Gewässern ihr Unwesen treiben sollen – insbesondere wenn man von verzweifelten Kämpfen von Standup-Paddlern hört, die ihre Paddel als Schlagstöcke missbrauchen müssen und hinterher zwar selbst unverletzt sind, ihren Kumpel (das SUP-Board) aber weinend zum Doktor bringen müssen, da der Hai mal ein bisschen seine Zähne schärfen wollte.



Jennifer Eschenbach

Nun, an sich sollen Kokosnussattacken deutlich häufiger vorkommen und auch tödlicher ablaufen. Zumindest den ersten Teil der Aussage kann ich bestätigen. Während ich kaum einen Hai zu Gesicht bekommen habe, geschweige denn von einem angegriffen wurde, scheinen es die Kokosnüsse definitiv auf mich abgesehen zu haben.

Kaum habe ich mich an einem gemütlichen, sonnigen, ruhigen Sonntagnachmittag mal ein bisschen im Garten aufgehalten, hörte ich es über mir rascheln und überlegte noch, was für ein Tier da wohl gerade oben in der schönen Palme herumhüpfe, als auch schon eine mittelgroße Kokosnuss hinterlistig auf meinen Nacken sprang.

Zum Glück schien sie es sich bloß wie ein kleines Äffchen auf meiner Schulter gemütlich machen zu wollen, hat also meine Wirbelsäule verschont, trotzdem war für die nächsten Tage jeglicher Wassersport wegen mangelnder Drehfähigkeit des Kopfes gestrichen. Es war ein schwererer Schlag für meine Psyche als für den Körper!

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Kompliziert und sehr „organisationslastig“ waren die ersten Wochen, in denen ich mich noch ohne Auto versucht habe durchzuschlagen.

Das ist für Windsurfer definitiv eine „Mission Impossible“! Abgesehen davon, dass man als Hitch Hiker mindestens doppelt so lange für einen Weg brauchte, war es unmöglich sich mit dem üblichen Windsurfer-Spielzeug im Gepäck von anderen Autofahrern mitnehmen zu lassen.

Zum Glück sind Freundschaften auf Maui schnell geschlossen und jeder versucht jedem zu helfen, wodurch ich mein Equipment zeitweise auf dem Grundstück von Freunden lassen konnte. Es war bloß zehn Gehminuten von Sprecks entfernt, allerdings zehn Minuten, die es in sich hatten – ums Aufwärmen brauchte ich mir nach einem Marsch in der prallen Sonne durch ein wüstenähnliches Terrain, inklusive zweifacher über-Zäune-klettern-Aktion definitiv keine Sorgen mehr zu machen.



Jennifer Eschenbach

Da sich das Auf- und Abriggen (je zehn Minuten) zuzüglich dreiminütiger Wanderpäckchen-Schnüraktion aber in Grenzen hält, sind auch die paar blauen Flecken, die mein Lieblingsspielzeug mir bei meiner „Trockentrainigs-Aktion“ zugefügt hat, voller Freude in Kauf zu nehmen, um trotz Automangel aufs Wasser zu kommen. Aber auch die Zeit ging vorüber, ich kaufte ein Auto, einen waschechten wunderschönen „Maui-Cruiser“.

Er hatte zwar nur einen Seitenspiegel, es ließen sich nur zwei der vier Fenster öffnen und das Licht im Innenraum war defekt. Meistens lief er aber ohne Probleme und brachte mich zuverlässig mit meinem ganzen Spielzeug zu meinen Lieblingsspielplätzen. Unabhängig und meeressüchtig wurde es nun an einigen Tagen (insbesondere an jenen, an denen der Wind zum Windsurfen ausreichte, aber Surfen auch noch Spaß machte) echt anstrengend.

Schließlich wollte ich so viel wie möglich von meiner Zeit hier profitieren und nicht eine der beiden Sportarten oder vielleicht besser Leidenschaften außer Acht lassen. Meist bin ich nach typischer Maui-Art um neun Uhr abends todmüde ins Bett gefallen.

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A propos Leidenschaften. „Leidenschaft ist das was Leiden schafft.“ Schaffen das Windsurfen und Surfen nun also Leiden?

In gewisser Hinsicht schon: Wenn man aus welchen Gründen auch immer nach einem besonders heftigen Waschgang eine Blutspur hinter sich her ziehend mit dem „Bitte-kein-Hai“-Gedanken im Nacken sitzend, versucht so schnell wie möglich an den Strand zu kommen und danach wegen aufgeschnittenen Füßen oder Ähnlichem von seiner Schokolade, seinen Zigaretten oder anderen Dingen mit Suchtfaktor, in diesem Fall eben dem Meer ferngehalten wird, dann mag diese Aussage stimmen.

Ansonsten bringen einem diese Leidenschaften alles andere als Leiden, nämlich Freiheit, Adrenalin, gute Laune, jede Menge neue Freunde und eine Riesenportion Spaß, gewürzt mit einmaligen Erfahrungen – zumindest war es bei mir so und ich würde alles genauso wieder machen.

Meine Reiselust wurde in keinster Weise beruhigt, sondern viel mehr gedüngt. Mein nächster Trip ist schon geplant...

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