Heidi Ulrich hat mit  47,06 Knoten (87,16 km/h) einen neuen Windsurf Speed-Weltrekord aufgestellt. Ihr Hauptsponsor GiPo produziert Baumaschinen, daher das Kettenfahrzeug im Hintergrund.
Heidi Ulrich hat mit 47,06 Knoten (87,16 km/h) einen neuen Windsurf Speed-Weltrekord aufgestellt. Ihr Hauptsponsor GiPo produziert Baumaschinen, daher das Kettenfahrzeug im Hintergrund.

Heidi Ulrich

Die Windsurf-Speed-Weltrekordhalterin im Interview

Die Schweizerin Heidi Ulrich hat am 25.11.2022 in Namibia auf dem künstlich angelegten Speed-Kanal mit 47,06 Knoten (87,16 km/h) einen neuen Frauen-Speed-Weltrekord im Windsurfen aufgestellt. Im Interview erzählt sie unter anderem, welche Rolle das Material beim Speedsurfen spielt, gibt Tipps für alle, die ausprobieren möchten, wie man schneller windsurft und erklärt das Slingshot-Manöver.


Du hast auf dem Kanal in Lüderitz einen neuen Weltrekord aufgestellt. Hast du im Training schon einmal eine höhere Geschwindigkeit erreicht?

»Nein, also das in Namibia war wirklich Topspeed. Beim Wettkampf hatte ich eine Maximalgeschwindigkeit von 49,94 Knoten. Ich habe an diesem Tag zwei Runs gemacht, mit genau gleichem Topspeed. Und das war wirklich die schnellste Zeit von mir. Diese Geschwindigkeit kann ich beim Training auf offenem Gewässer nicht fahren, es braucht wirklich den Kanal dazu. Im Training in Frankreich, auf offenem Gewässer, bin ich etwa 46 Knoten Topspeed gefahren und 41 Knoten im Durchschnitt auf 500 Meter.«


Der Rekord muss noch von der WSSRC ratifiziert werden, um offiziell gültig zu werden. Wie fühlt sich das an, den Rekord eigentlich zu haben und dann noch so lange auf die Ratifizierung durch das WSSRC warten zu müssen?

»Das stört mich grundsätzlich nicht, das abzuwarten, bis es dann effektiv wird. Ich habe da noch nie das Problem gehabt, dass ein Run nicht auch offiziell anerkannt wird. Ich habe die Video-Zeitmessung ja als Beweis, das wird vor Ort bereits ausgewertet und da war eigentlich schon klar, dass es geklappt hat.«

Heidi Ulrich auf dem Speedkanal in Namibia.
Heidi Ulrich auf dem Speedkanal in Namibia.

Was macht für dich beim Material den Unterschied aus? Welche Komponente (Finne, Board, Segel, Mast, Gabel) hat den größten Einfluss auf den Speed? Oder ist es der Faktor Mensch, der durch Training den Speed steigern kann?

»Das Material ist sehr wichtig, aber in meinen Augen macht der Fahrer 80 % und das Material 20 % aus. Ich persönlich bin der Meinung, dass man auf sein Material so gut wie möglich abgestimmt sein muss. Ich denke, dass man erst schnell fahren kann, wenn man seine Grenzen kennt, wenn man seine Segel kennt, wenn man seine Bretter kennt und wenn man seine Finnen kennt.

Das neuste Material nützt nicht viel, wenn du nicht optimal auf Dein Material abgestimmt bist. Ich bin jetzt zum Beispiel letztes Jahr die Einzige gewesen, die mit einem SDM-Mast gefahren ist. Da haben alle ein bisschen gelächelt und es wurde gesagt, das geht eh nicht, für dich als Mädchen sowieso, weil das Segel hat dann zu viel Power...«

Der Van wird beim Training zur Wohnung und zum Arbeitsplatz.
Der Van wird beim Training zur Wohnung und zum Arbeitsplatz.

Welche Tipps kannst du Windsurferinnen und Windsurfern geben, die Speedsurfen ausprobieren wollen?

»Grundsätzlich sage ich eigentlich immer 'Spaß haben ist eh das Wichtigste'. Egal ob man jetzt Speed, Wave, Freestyle oder was auch immer fährt. Man kann auch mit Wave-Segeln schnell fahren. Es ist auch mit Segeln ohne Camber möglich, schnell zu fahren.

Es kommt natürlich auch darauf an, was für ein Niveau der Fahrer schlussendlich hat. Wenn man sich aber entscheidet, zum Beispiel nach Lüderitz auf den Kanal zu gehen, lohnt es sich definitiv, auf Camber umzusteigen und da auch darauf zu trainieren. Weil ich habe schon Leute gesehen, die ohne Camber ambitionierte Ziele hatten, die versuchten in den starken Winden zu fahren und das geht wirklich nicht. Rein schon von der Stabilität des Segels her kann man so überpowert ohne Camber nicht sehr gut fahren.

Wer Speed ausprobieren will, sollte versuchen, so tief wie möglich abzufallen und trotzdem das Segel möglichst dicht zu halten. Und wenn es dann Spaß macht, warum nicht mal ein Camber-Segel ausprobieren?

Grundsätzlich fahren wir mit den kleinen Speedbrettern total überpowert, weil wir eben gerade im Kanal so tief abfallen, dass wir mit normalen Segelgrößen viel zu wenig Druck im Segeln hätten. Wenn wir zum Beispiel in Frankreich fahren, dann nehme ich meistens eigentlich eine Segelgröße kleiner, als wenn ich im Kanal wäre, weil wir da nicht so tief Raum fahren.

Wenn jemand beginnt, Speed zu fahren, dann sollte man nicht überpowert fahren, am Anfang, sondern mit den Segeln fahren, die man sonst eigentlich auch fährt. Und damit sollte man zuerst die Grenze ausloten. Man muss auf einem tiefen Downwindkurs fahren, um wirklich schnell zu werden. Das aber ist ein anderes Fahrgefühl, als beim normalen Surfen.

Du gehst normalerweise überpowert an den Start und machst dann einen Slingshot, um dich auf den Kurs zu katapultieren. An dem Übergang von Überpower zum eigentlichen Speedkurs, bei dem auf einmal viel weniger Druck im Segel ist, kann es unschöne Szenen geben...«

Diaz-Point an der Lüderitz-Halbinsel in Namibia. Auch bei der Dunkerbeck Speed Challenge siegt die Schweizerin regelmäßig.
Diaz-Point an der Lüderitz-Halbinsel in Namibia. Auch bei der Dunkerbeck Speed Challenge siegt die Schweizerin regelmäßig.

Was ist ein Slingshot?

»Ein Slingshot ist, wenn man sich aus dem Halbwindkurs wirklich rauszieht und rauskatapultiert in den Downwindkurs. Das ist in Lüderitz die »Ecke« vom Übergang des Startbeckens auf den Kurs. Da ist man wirklich so eine Millisekunde oder vielleicht auch eine Sekunde extrem krass überpowert und lässt sich auf den Kurs katapultieren.

Und wenn wir zum Beispiel in Frankreich, wo der Wind meist Halbwind kommt, den Slingshot trainieren, dann lassen wir uns wirklich vom Ufer hinaus aus, ich sage jetzt mal rauskatapultieren. Ich weiß nicht, wie man es sonst erklären soll, um noch mehr Speed aufzubauen und eine kurze Zeit noch mehr Druck im Segel zu haben, bevor man wirklich ganz krass down fährt. Der Wind kommt dann mehr oder weniger richtig von hinten im Segel rein und das ist dann eigentlich ja auch der Kurs, der sehr schnell ist. Den Slingshot braucht man wirklich, um die Beschleunigung hinzukriegen.«



Du arbeitest Vollzeit im Controlling als Lohnbuchhalterin. Wie vereinbart du Beruf und Windsurfen?

»Ich habe das Glück, dass ich seit zehn Jahren beim gleichen Arbeitgeber bin und wirklich sehr viel remote arbeiten kann. Ich arbeite die volle Stundenzahl, mein Arbeitgeber hat großes Vertrauen und ist damit auch mein größter Sponsor. Sonst wäre es gar nicht möglich. Ich bin 4 bis 6 Monate im Jahr unterwegs und habe die Flexibilität sofort zu reagieren, wenn in Frankreich Wind zum Trainieren ist.

Und dann sind wir mit unserem ausgebauten Bus unterwegs, wo ich halt dann aber wirklich auch für meinen Arbeitgeber arbeite. Ich arbeite dann morgens und abends, außer wenn Renntage sind. Die Renntage kommuniziere ich dann dem Geschäft natürlich auch dementsprechend und so geht das eigentlich auch gut. Man braucht super viel Selbstdisziplin. Ich krieg das, im Moment zumindest, recht gut unter einen Hut.«

Am Speed Kanal in Lüderitz geht es per Anhänger wieder zurück zum Start.
Am Speed Kanal in Lüderitz geht es per Anhänger wieder zurück zum Start.

Könntest du dein Leben alleine durch das Sponsoring bestreiten?

»Vom Windsurfen zu leben ist eine schwierige Angelegenheit. Speed ist so eine kleine Disziplin, die ist wirklich noch einmal mehr Randsportart, als das Windsurfen an und für sich. Ich würde mir wünschen, davon leben zu können, es wäre urcool, aber leider nein.«


Hast du einen Speed, den du unbedingt knacken möchtest?

»Bevor ich letztes Jahr nach Lüderitz gegangen bin, war der Weltrekord Ziel Nummer eins. Ich hatte auch die 50 Knoten Top-Speed im Kopf, weil ich wirklich denke, dass es möglich ist. Ich habe sie dann zweimal um 0,06 Knoten nicht knacken können. Ich denke, die 50 Knoten Top-Speed sind ganz sicher machbar. Das weiß ich, nachdem wir alle Runs genau analysiert haben. Ich glaube, 48 Knoten im Durchschnitt über 500 Meter, wäre möglich, wenn nicht sogar mehr.
Diese 500 Meter sind eigentlich eine kurze Distanz und trotzdem ist es eine sehr lange Distanz, weil über die 500 Meter, wenn man so krass auf den Wind und auch den Wind-Winkel angewiesen ist. Da kann so viel passieren in diesen 20 Sekunden oder 19 Sekunden, wo man auf dem Run ist. Man braucht so viele Runs, damit bei einem dann wirklich einmal alles passt. Ich habe insgesamt 120 Läufe gemacht und erst beim 102. in Lüderitz hat es dann geklappt.«



Surfst du außer Speed noch andere Disziplinen?

»Wir gehen auch in die Welle, jedoch ohne Segel, mit dem Paddelbrett. Im Windsurfen bin ich auch Slalom gefahren. Aber Foilen ist nicht so meine Disziplin an sich. Ich kann es, aber ich mag es mehr, wenn ich mit der Finne das Wasser direkter spüre. Ein Ziel wäre gewesen bei der PWA mitzufahren. Aber da es jetzt mit Foils ist, reizt es mich wirklich gar nicht mehr, muss ich ganz offen gestehen.«

19.01.2023 © DAILY DOSE  |  Text: Christian Tillmanns  |  Fotos/Grafiken: Jaco Wolmarans, Jacques Marais