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Chios / Griechenland

Chios, die vergessene Insel. Ein Travelreport von Adrian Beholz.

Trotz vieler Kriege zwischen Türken und Griechen haben die beiden Völker doch viele Gemeinsamkeiten. Unter anderem den Wind. Für Surfer ist der Meltemi das Wichtigste, er versorgt den Osten Griechenlands und den Westen der Türkei im Sommer zuverlässig mit Frischluft.

Diesen Wind genieße ich schon seit längerem. Auf meinen Reisen zu den besten Meltemispots musste ich schon oft die Insel Chios passieren. Doch Windsurfen auf Chios? Bisher hatte ich davon nichts gehört. Obwohl die Insel, zwanzig Kilometer vor der türkischen Küste liegend, vom Meltemi verwöhnt wird, verirrt sich dorthin kaum ein Windsurfer.

Anfang Juni stand ich wieder einmal am Hafen von Chios, mein Weg sollte mich zum EFPT Event auf Lefkada führen. Schlaftrunken wollte ich gerade mein Material in den Schiffsrumpf meiner nächsten Fähre verladen, als mich der Wind nervös und unruhig werden ließ.

Es ballerte aus allen Rohren. Wie von der Tarantel gestochen kletterte ich auf die Hafenmauer. Der Anblick, der sich mir dort bot, war überragend. Eine nette Welle, gespickt mit Schaumkronen, rollte auf mich zu und brach an der Hafenmauer. Es hatte gute sechs Windstärken und sah perfekt aus.
Leider hatte ich damals keine Zeit mein Material aufzubauen...

Chios / Griechenland

Aber mein Entschluss stand: Diese Insel wollte ich auschecken. Einen guten Monat später sitze ich mit Sebastian und Julian, meinen Team-Surftoday Kollegen, auf unserer Terrasse in der Türkei.
Unter uns liegt Alacati, das türkische Windsurfmekka. Die Rakiflasche ist schon halb leer und der Vollmond lädt zum Träumen ein.

Da fällt unser Gespräch auf Griechenland, den Uso, die Frauen und das Essen. Es werden ein paar alte Geschichten wieder ausgepackt und neu aufbereitet. Als mir auf einmal einfällt: „Jungs, habt ihr schon mal was von Chios gehört, ich glaube da kann man surfen!!“ Die Zweifel sind zunächst groß, aber mit letzten Infos von Windguru sind alle Skeptiker beruhigt. Die ganze nächste Woche soll es mit 20 Knoten winden.

Schon zwei Tage später waren unsere Fährfahrten und zwei Mietautos auf der Insel gebucht.
Wir hatten über ein paar Ecken auch noch die Handynummer eines Locals erhalten - via Skype erreichten wir ihn nach einigen Versuchen.

Seine Reaktion auf unseren Anruf schien pure Freude zu sein: „What, you are interested in our island? Hey guys, you are welcome, my buddys and me will pick you up at the harbour! Then we can show you our island for a few days!“

Das klang nach griechischer Gastfreundschaft! Und so bestiegen wir zwei Tage später mit einem guten Gefühl das Schiff, welches uns nach Chios bringen soll. Doch während der 45-minütigen Schiffahrt von Cesme nach Chios sank unser Herzschlag passend zur Windgeschwindigkeit.

Voller Übermut und Tatendrang bei satten 6 Windstärken in der Türkei abgefahren, kamen wir ernüchtert auf der Insel an. Es bewegte sich keine Fahne, Fahne und auch das Wasser verriet uns durch das Fehlen jeglicher Kräuselung nicht, dass es jemals Wind gesehen hatte.

 

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Chios / Griechenland

Doch mit unseren griechischen Gastgebern traf auch die Hoffnung wieder ein. Diese verkündeten uns, dass der Wind morgen eintreffen sollte und luden uns erst einmal zu einem Gläschen Uso und etwas Bissfestem ein. Tatsächlich windete es am nächsten Tag aus vollen Rohren und wir konnten unseren Spot Check beginnen.

In einem Konvoi aus drei Autos ging es los. Verwundert mussten wir feststellen, dass unsere griechischen Freunde die Insel noch nie wirklich unter die Lupe genommen hatten, sondern Tag für Tag vor ihrer Haustür in Chios Stadt aufs Wasser gingen.

Schnell wurde jedoch klar, dass die Insel sich nur bei Nord-Ost Meltemi wirklich gut surfen lässt.
Kommt der Wind zu sehr aus Westen, findet man an der kargen und steilen Westküste keine Einstiegsmöglichkeiten. Und im Osten bleiben die Spots in der Windabdeckung der hohen Berge von Chios.

Am Morgen des ersten Tages kam der Wind noch aus der richtigen Richtung. Ich fand das Szenario vor, welches ich noch von meinem letzten Aufenthalt in Chios in Erinnerung hatte.

Konstanter Sideshore Wind und eine moderate Kabelwelle sorgten für perfekte Power-Freestyle Bedingungen.

Bei dieser Windrichtung findet man an der gesamten Ostküste Chios wunderbare Spots mit grandiosen Kulissen. Zu unserer Enttäuschung begann der Wind im Laufe des Tages auf westliche Richtungen zu drehen, womit die Ostseite der Insel vom Wind verschmäht wurde.

Nach langen Stunden im Auto machten wir dann aber doch die Entdeckung, die uns die nächsten Tage auf dem Wasser sichern sollte.

Etwa 10 Kilometer nördlich von Chios Stadt fanden wir eine Bucht, in die der Nordwest-Wind durch eine Bergschlucht herab fiel und mit brachialer Gewalt das Wasser aufwühlte.

Es war super schwierig diesen Spot zu fahren, nicht zuletzt weil der Wind super böig zwischen 3 und 8 Windstärken schwankte.

Chios / Griechenland

Doch die nächsten zwei Tage bot uns dieser Spot einen gebührenden Spielplatz. Schweren Herzens verabschiedeten wir uns nach drei Tagen auf der Insel von unseren neuen griechischen Freunden, bestiegen die Fähre und waren 45 Minuten später wieder zurück in der Türkei.

Dort erwartete uns noch eine angeblasene Abendsession im Sonnenuntergang und ein Rakifläschchen unter dem Sternenhimmel. Zu diesem ließen wir die vergangenen Tage nochmals revue passieren.

Wir waren uns einig: Die Windsurfbedingungen, die wir auf Chios vorfanden, können nicht mit denen Kretas, Rhodos oder Karpathos konkurrieren.

Zu anfällig reagiert die Insel auf abweichende Windrichtungen. Bei Nord-Ost Meltemi jedoch gehört Chios zu den Juwelen Griechenlands.

Befindet man sich also auf einer der Nachbarinseln und die Windrichtung passt, lohnt es sich die Fähre zu besteigen und Chios in ihrer Vielfalt auch abseits des Windsurfen zu genießen.

Auch die Reise von den bekannten griechischen Inseln über Chios in die Türkei ist ihren Antritt mehr als wert.

Chios / Griechenland