Nach etwa einer halben Stunde merke ich, dass ich inzwischen restlos überpowert bin und gehe an Land, um mein Segel zu wechseln. Nach einem hastig hinuntergeschlungenen Croissant und einem Latte Macchiato gehe ich mit 4.0 wieder aufs Wasser und stürze mich in die nächste Freestyle-Session.
Tatsächlich ist der Vento heute so stark, dass er bis etwa zwei Uhr mittags andauert. Dann kommt es zu dem Phänomen, das ich bisher an keinem anderen Ort erlebt habe: Nach einer kurzen Flautenpause setzt der Südwind ein, der hier „Ora“ genannt wird.
Der Lago di Garda oder Lago di Benaco, wie er ursprünglich nach einer alten keltischen Gottheit benannt wurde, ist der größte der oberitalienischen Seen und bietet mit seiner verlässlichen Thermik von Frühjahr bis Herbst perfekte Windsurfbedingungen. Benacus, der ursprüngliche Namensgeber des Sees, wurde in galloromanischer Zeit auch mit Neptun in Verbindung gebracht, und wer außer dem Meeresgott könnte ein solch verlässliches Thermiksystem an diesem Gebirgssee installiert haben?
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Die Kombination aus Düseneffekt der Steilufer und den thermischen Winden ist dabei die Grundlage für die vorherrschenden Winde am Gardasee, den Vento oder Pèler und die Ora.
Tagsüber steigt die von der Sonneneinstrahlung aufgeheizte Luft am Nordende des Gardasees nach oben, wodurch ein Sogeffekt entsteht, der Luftmassen aus der Poebene ansaugt. Auf diese Weise entsteht die Ora, der Südwind, der um die Mittagszeit einsetzt und meist bis Sonnenuntergang anhält.
Je nördlicher man sich dabei am See befindet, desto stärker ist die Ora durch den Düseneffekt der Steilufer. Nachts kühlen sich die tagsüber aufgestiegenen Luftmassen wieder ab und lassen in den frühen Morgenstunden den Vento oder Pèler erwachen, den Nordwind, der als Bergwind die Hänge der Alpen hinunterströmt und ebenfalls durch den Düseneffekt im nördlichen Teil des Gardasees beschleunigt wird. Seltener auftretende Winde sind Tramontana, Bali, Ponale, Vént de la Mút, Vént de la Vál, Vinessa, Fassanella, Montes, Ander und Vent de Tép. Wer genaueres zu deren Entstehung wissen will, muss die Locals fragen. |