Australien

Long Way Home

Eva Drape-Hülsemann erzählt die Geschichte einer 2007 in Australien verschenkten Venusmuschel, die per Zolldekret zurück zu ihrem Urspungsort sollte. 2011 war es soweit...

Im Frühjahr 2007 habe ich kurz vor meiner Ausreise aus West Australien beim Zoll um eine Ausfuhrgenehmigung für eine wunderschöne Venusmuschel gebeten – das Abschiedsgeschenk eines Surfbuddies. “Under no circumstances will I let you go away with it“ (Auf keinen Fall lasse ich das durchgehen) wurde ich belehrt und aufgefordert, die Muschel in ihre Herkunftsbucht zurückzubringen.

Schweren Herzens überlasse ich die Muschel der Obhut eines Freundes – mit dem Versprechen, sie NICHT als Aschenbecher zu benutzen. Ausgerüstet mit einem Ford Falcon sowie High-Tech Material von Starboard und Severne beginne ich meine Mission im Herbst 2010 in Lancelin, 127 km nördlich von Perth. Der Wasserstand in der Bucht ist noch niedrig, und es sind nur wenige Surfer auf dem Wasser.

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Beim Lancelin Open Classic im Januar 2011 sieht es da schon ganz anders aus: 191 Teilnehmer beim 25 km Marathon. 5 Minuten vor Startbeginn riggt Björn Dunkerbeck um und gewinnt! Cool!!

Am Strand finde ich neben viel Tang und anderen Pflanzenresten einige winzige Teile von ’clam shells’. Woher kamen sie? Wie lange mögen sie wohl unterwegs gewesen sein?

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Ein letztes Mal stehe ich auf dem Rigging Lawn vor der liebevoll wetterfest geschmückten Gedenkstätte für eine Windsurferin, die vor Saisonbeginn beim Scuba Diving ertrunken ist. ’Rest in peace, Andrea’. Dann fahre ich weiter nach Point Moore, Geraldton (424 km nördlich von Perth). Die tief in den Indian Ocean ragende Bucht mit vielfältigen Wellenformationen zieht Wassersportler aller Art an. Bei Einbruch der Dämmerung kommen sie jedoch alle zurück: ’It’s shark feeding time’ (Haifütterungszeit).

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Coronation Beach, die Traumbucht von Windsurfern aus aller Welt, liegt etwas nördlich von Gero. Sie ist eine Spielwiese für alle Könnensstufen – Einsteiger bleiben im Flachwasser, Mutige überqueren die ersten, kleineren Wellen und Profis wie Jaeger Stone rippen weit draussen in Luv. Lässige Locals mit 4wd treffen sich in der vorgelagerten Bucht Oakajee. Fremde sind nicht erwünscht, in Begleitung von Locals aber geduldet. Auf meiner schönsten Welle bin ich dort ca. 600m weit bis zum Strand gesurft.

Die Hilfsbereitschaft der Aussies ist legendär. Als mein Trapez zerbricht, wird sofort ein Provisorium gebaut. Einige Zeit später kann ich bei perfekten Sideshore Bedingungen den neuen 74l Quad von Starboard ausprobieren – Vergnügen pur, Christine aus Spanien ist auch schon infiziert! Große Gelassenheit zeigt ein lokaler Surfer beim Halsen: ohne Armeinsatz, nur über das Trapez gesteuert.

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Da ich in Gero nur Reste von clams finde, schließe ich mich einer Gruppe von Hardcoresurfern an, die mit einem Charterboot 60 km gen Westen auf die Abrolhos Islands fahren, auf der Suche nach der perfekten Welle. Es gibt aber weder Wind noch Welle, dafür Fisch im Überfluss und eine Vielzahl von kleineren exotischen Muscheln. Durch das Rollen des Bootes werde ich seekrank. Ich rette mich auf ein SUP, lass mich treiben und werde von einem Schwarm Delphine inspiziert – mein Glückstag!!

Bilder unten: After work party - die Local Heroes rippen in Sunset Beach, Gero. Mark Stone testet gewagte Shapes, vielleicht einen neuen Erlkönig? Für Jaeger? Ich fahre nach Norden, vorbei an Jakes Point, Kalbarri.

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Surf Buddies haben mir von epischen Wellen am Bommie in Exmouth (1260 km nördl. v. Perth) und vorbeiziehenden Walen erzählt, verbunden mit der eindringlichen Warnung, dort auf keinen Fall zu surfen. Warum nur habe ich gar keine Lust auf eine ’30 foot double mast high session with glassy faces and 20 knots?’ Ich suche lieber die nicht ausgeschilderte Bucht, die ’graveyard’ (Friedhof) genannt wird, weil dort viele Riesenschildkröten ihre Eier ablegen und anschließend sterben.

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Am Rande des Cape Range Nationalparks quartiere ich mich in einer Hütte für Schafscherer ein – Wasser aus dem Tank, kein Strom – und bin in ein paar Minuten bei Kath und den wenigen anderen Surfern. Bei 20 Knoten und mehr genießen wir entspannte 2m Sessions mit glassklaren, sauberen Wellen, besonders gegen Abend. Und ich lerne dazu: unvermutet auftauchende Schildkröten müssen übersprungen werden, bei zu vielen Kratzern in den Panzern droht ein generelles Windsurfverbot.

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Ein Parkranger erkennt meine Venusmuschel sofort und weist gen Süden. “Fahre vom Nordwestkap durch den Ningaloo Marine Park 100 Meilen bis nach Cape Farquhar und folge dem Dünengürtel. Beim letzten Haus gehst du ins Wasser – LEAVE & LET LIVE (Alles dort liegen- und leben lassen).“

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Den steinigen Klippen folgend finde ich den Strand. Die alten Aschenbecher der Homestead (Heimstatt) werfe ich ins Meer, mit ’meiner’ Muschel schwimme ich hinaus und sehe zu, wie sie in der surrealen Unterwasserwelt langsam zu Boden sinkt. Mission beendet im Frühjahr 2011. Let’s go sailing!

Zurück in Deutschland bekomme ich Post von der Homestead. Sie brächten es nicht länger übers Herz, die alten Aschenbecher einfach in den Müll zu werfen. In Ergänzung zu ihrem Turtle Conservation and Fox Control Program hätten sie deshalb ein Ashtray Recycling Program eingeführt: Die ausrangierten Muscheln werden in einem Sack gesammelt. Wenn der voll ist, nimmt ihn jemand mit und kippt alles in den Indischen Ozean...

11.05.2020 © DAILY DOSE  |  Text: Eva Marie Drape-Hülsemann  |  Fotos/Grafiken: Andrew Lang, Eva Marie Drape-Hülsemann

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