1400 Surfer auf dem 40-Kilometer-Langschlag

Défi Wind
Hürdenlauf mit einem Bein

1400 Surfer, eine Prise Wahnsinn und 30 Knoten Wind, das kann nur das Défi Wind sein. Philipp Kümpel hat mitgemacht und berichtet.

Man müsste... Man könnte... Man sollte... Auch beim Windsurfen ist der Konjunktiv des Wollens Teil vieler Gedanken. Da gibt es doch dieses Langstreckenrennen in Südfrankreich. Da müsste man doch mal mitmachen!

Das Défi Wind, die beinharte Regatta mit über 1000 Surfern bei Hammertramontana ist beides, Happening und Mount-Everest-Besteigung. Windsurf-Woodstock und und Wahnisnns-Wassersport. Einmal im Jahr zu Himmelfahrt findet das Défi vor Gruissan statt und wer mitmacht, kann man dem Himmel sehr nah sein - oder am Boden liegen.

Défi kommt von Herausforderung und niemand, der dort nicht selbst einmal gestartet ist, kann sich wirklich vorstellen, welche Hürde dieses irre Marathonrennen vor Mensch und Material stellt.

Fahrt zum Défi Wind.
links: Die Fahrt zum Défi Wind ist weit, zumindest von Leipzig aus.
rechts oben: Der Bulli ist voll. rechts unten: Die Unterkunft ist wenig glamourös.

Ab Februar konnte man sich für dieses Rennen anmelden. Schnell waren die 1400 Startplätze vergeben. Teilnehmerrekord! Und ich bin mit meinem Sohn Mario dabei.

Aber was ist das? Man braucht ein ärztliches Attest, das die Fitness bescheinigt. Eine Versicherung für sich und sein Material muss abgeschlossen werden. Oha. Das kann nur bedeuteten, dass dieses Défi nicht nur ein Mythos ist, sondern knallharte Realität.

Ab Januar bin ich drei Mal die Woche ins Fitnessstudio gegangen. Ich wollte diesmal wenigstens fit für ein Rennen sein. Beim Défi gibt es an vier Tagen je zwei Rennen. Schlimmstenfalls macht das 8(!) Rennen über je 40 Kilometer. Gestartet wird erst ab 20 Knoten und wenn der Wind erst mal einsetzt, geht es oft richtig ab.

Défi Wind
Probefahrt auf der Regattastrecke.

Was also trainieren? Früher habe ich viel zu sehr die Arme trainiert. Wichtig ist beim Défi vor allem die Ausdauer. Cardio. Also ging es immer wieder aufs Laufband, dazu noch in die Beinpresse. Für das hurtige Hornhautwachstum an den Handinnenflächen sollten diesmal besonders viele Klimmzüge helfen.

Im Februar ging es dann nach Teneriffa, doch da gab es eher weiche Wingfoilwinde. Wieder daheim in Leipzig, gab es Cardiotraining der anderen Art, haben wir es doch tatsächlich geschafft, mit einer Klage und der Petition das sächsische Foilverbot zu kippen. Ich kann den Mitstreitern an der Ostsee nur raten, die Klage schon vorzubereiten und durch wirklich alle Distanzen zu gehen. Spendengelder werden kein Problem sein.

Défi Wind - Einschreibung
Überall Surfer. Anmeldung und Übernahme der Lycras. Antoine Albeau war auch im Getümmel.

Unser Homespot ist der Cospudenersee. 40 Kilometer Langstrecke auf dem See zu trainieren ist so eine Sache und auch der Megastarkwind war bis zum Défi im ostdeutschen Binnenland eher die Ausnahme. Doch ich habe mein Training vom Wingen komplett zurück auf das Windsurfen mit Foil gelegt und muss sagen, es macht so einen Spaß, dieses Windsurfen. First love in Neuauflage.

Die Franzosen, die da unten am Mittelmeer leben und das Défi als Heimspiel absolvieren, wissen gar nicht, welche Hürden wir in der Ferne nehmen müssen, um dort zu starten. Oft haben wir zu Himmelfahrt nur genau diese vier Tage frei bekommen. Die Kinder wollen versorgt oder mitgenommen werden und der besseren Hälfte muss eine 16-stündige Nachtautofahrt an einen Spot schmackhaft gemacht werden. Am Spot lockt nicht die säuselnde Sommerbrise. Eine starke Sandstrahlung peelt das Geläuf. Die Unterkünfte sehen nicht gerade berauschend aus und die Temperaturen sind auch manchmal kälter als in Deutschland. Wer hier dem nicht surfenden Anhang charmant einen romantischen Wellness-Kurzurlaub in Frankreich verspricht, macht das genau ein einziges Mal.

Défi Wind - Halse
Die Halsentonne: Noch herrscht dort relative Ruhe. Das sieht später anders aus...

Das Auto muss fit sein und ja, man braucht Surfmaterial. Entwarnung: Es ist eigentlich komplett egal, mit was man surft. Ein 90- bis 100-Liter-Board (Finne) mit einem 5 m2 Segel passen gut. Vielleicht sollte noch ein 6er dabei sein.

Mit dem Foil wollten dieses Mal nur 52 Personen starten. Das war in Anbetracht des Dauersturmes verständlich. Aber natürlich wollte ich mit Foil starten. Wenn schon Wahnsinn, dann richtig. Ich setzte auf ein 140-Liter-Foilboard von Future Fly und ein 5.5er Icarus Segel von Avanti. Als Foil war mein F4 mit allen Arten von Frontflügeln an Bord.

Die Nachtfahrt von Leipzig war anstrengend. Man kommt morgens in Gruissan an, und möchte nur noch schlafen. Doch da stehen 1400 Gleichgesinnte und wollen sofort ihr erstes 40km Rennen fahren und natürlich ballert es mit 20 bis 35 Knoten.

Antoine Albeau gratuliert zu unserem Sieg gegen das Foilverbot und Andrea Cucchi freut sich, dass mein Sohn nun in seinem Team als Point7-Fahrer mitfährt. Mir wird langsam schlecht. Was soll ich hier? Ich bin Filmkomponist! Am liebsten würde ich mir Windeln anziehen und mich im Kinderwagen vom Strand wegfahren lassen.

Défi Wind - Aufbauen
Mensch und Material: Aufbauen auf dem Parkplatz, personalisierte Lycras, die Ärmel vom Neo müssen ab und werden direkt in der bereitgestellten Recycling-Tonne entsorgt.

Ich tue natürlich wie alle 1399 anderen ganz locker. Baue mein Foilboard, das Segel und meinen nagelneuen 400er Frontflügel am Foil auf. Rein in meinen Langarm-Neo. Lycra an. Der 60-Minuten-Countdown hat begonnen. Jetzt das neue GPS vom Défi an den Arm schnallen. Damit muss man sich an einem Sammelpunkt vor und nach dem Rennen ein- und auschecken. Ja, man kann sich sogar live tracken lassen. Bei dem Rennen sind alle Ergebnisse just in time online sichtbar. Perfekt! Und natürlich sieht man sofort, wer auf der Strecke bleibt.

Ich nehme mein Material, ziehe es ins Wasser und schon kommen mir gut gefüllte Rettungsbote entgegen obwohl das Rennen noch gar nicht angefangen hat. Wie ich später erfahre, wurden vor dem Rennen 140 Fahrer gerettet. Das kann ja lustig werden. Der Wind ballert voll ablandig. Da ist das berühmte Startboot mit der großen Fahne. Doch was ist das? Ich bekomme mein Board nicht ins Foilen und wenn es doch kurz abhebt, wird es so schnell, dass mir die Windeln wieder in den Sinn kommen. Ich hätte den 400er Foilflügel doch mal vorher testen sollen. Es geht nicht. Dazu Krämpfe in den Armen. Ich fahre zurück zum Strand, packe alles ein und lege mich ins Bett. Ich bin so müde.

Défi Wind - Start frei
Der Start zum Défi Wind. 1400 Finnen und Foils sind unterwegs. Bei Philipp kochen die Emotionen.

Am nächsten Tag weht der Wind mit nur knapp 20 Knoten. Ich nehme einen größeren Frontflügel, ja ich weiß, schnell wird er heute nicht gehen, aber ich kenne ihn perfekt. Dann kommt mir ein Tipp von Vincent Langer in den Sinn. Ohne Arme keine Krämpfe! Ich nehme die Schere und schneide beide Ärmel vom Neo ab. Die klimmzuggestählten Komponistenunterarme können sich frei entfalten.

Wieder beginnt der Countdown. Man kommt sich vor wie ein Starwars-Krieger im Neo, mit Prallweste und Défiuniform. Es geht los. Diesmal fliegt das Board und ich habe keine Krämpfe. Ich starte hinter dem Feld, weil ich keine Ahnung habe, wie mein Foil auf die Nähe von 1399 anderen Finnen und Foils reagiert. Better safe than sorry.

Défi Wind - Mövenperspektive
Die Halse aus der Mövenperspektive.

Der Kurs ist auf der ganzen Strecke mit Jetskis auf dem Wasser und Autos am Ufer abgesichert. Man sieht Mastbrüche, Schleuderstürze und von Krämpfen geplagte, die aufgeben. Der Schlag bis zur Wendetonne ist unendlich weit. Die Oberschenkel brennen wie Feuer. Dann kommen sie mir entgegen, die Topfahrer.

Sie sind schon an ihrer Haltung zu erkennen. Dank der über ein Meter langen Trapeztampen haben sie eine Mega-Sitzhaltung, sie nutzen 350er Frontflügel und 5 bis 6 qm Segel. Das Board lassen sie nur 5 bis 10 cm über der Wasseroberfläche fliegen. Sie mögen so geschätzte 70 Stundenkilometer schnell auf uns zukommen. Käme es zu einem Zusammenstoß, würde es sehr, sehr ernst werden, aber alle sind sehr konzentriert und man versucht sich, weit auszuweichen. Trotzdem gab es mehrere Knochenbrüche und Schnittverletzungen. Diese hatte es aber in der gleichen Anzahl bei allen Défis gegeben. Es ist nicht gefährlicher geworden.

Défi Wind - Die ruhige Seite
Die ruhige Seite des Défi Wind.

An der Halsentonne ist es ein einziges Schlachtfeld. 100 Segel liegen auf dem Wasser. Einige versuchen mit dem Material um die Tonne zu schwimmen, andere eiern halsend durch das Feld. Ich mache einen Riesenbogen um die im Wasser treibenden Plastikhaufen, halse und weiter geht es. Nun wird es leichter. Man beginnt sich mit den anderen Fahrern zu batteln. Dies geht so bis zum Ziel nach 40 Kilometern.

Der ganze Körper zittert, alle schreien, einige vor Freude andere vor Schmerz. Egal ob Profi oder Amateur, alle haben die gleichen Gefühle und Geschichten zu erzählen.

Was für einen Hürdenlauf, nun noch schnell das Auschecken, nur dann gilt diese Wertung.

Ein Glücksgefühl setzt ein.

Défi Wind
Am Ende des Défi steht der Weg zurück an. Der Blick ist nach vorn gerichtet. Beim Défi Wind gibt es doch das Défi Wing direkt vor dem Windsurf-Event. Man könnte doch...

Ich bin noch zwei weitere Rennen gefahren, in den Tagen. Mein Körper ist ein einziger Muskelkater. Und doch bin ich so froh, diese Hürden alle genommen zu haben.

Mein Sohn Mario wurde in der reinen Finnenwertung zweiter Deutscher hinter Christoph Deus. Der beste deutsche Overallfahrer wurde Nico Prien, gefolgt von Christoph Deus und Markus Winter.

Im nächsten Jahr will ich, wenn irgendmöglich, vor dem normalen Défi noch den Wing Defi mitfahren. Man könnte doch! Nein, man sollte! Balz Müller muss doch zu schlagen sein!

Eine weitere kleinere Hürde. Hürden können Spaß machen.

Und morgen geht es auf den Cossi. Es wird weitergesurft, immer weiter...

23.05.2023 © DAILY DOSE  |  Text: Philipp Kümpel  |  Fotos/Grafiken: Défi Wind / McHugh, Jean Marc Cornu, Jean Siouville, Philipp Kümpel